Damit unserer Ressourcen wirken können, ist es zentral, dass sie uns bewusst sind, wir sie zum richtigen Zeitpunkt aktivieren können und das auch tun.
Mit unsern Ressourcen ist es ein bisschen wie mit dem Glücklich-Sein: eine Freundin von mir widmet sich schon viele Jahre der Glücksforschung und sie sagte mal: «Glück haben allein reicht nicht, man muss es auch noch merken.»
Wenn ich als Therapeutin eine Klientin unterstützen möchte, sich selber zu stärken, sich einen guten, tragfähigen Boden zu erarbeiten, dann ist das Thema der Bewusstmachung von Ressourcen zentral. Es geht hier wirklich darum, sich einen anderen Blick anzugewöhnen. Das sprichwörtliche halbleere Wasserglas einzutauschen gegen ein halbvolles. Und sich mit Entschlossenheit und Disziplin im Blick auf das halbvolle Glas zu üben. Es ist eine Gewohnheit und auch eine Entscheidung: stelle ich jetzt meine Probleme in den Fokus und lasse mich von den damit einhergehenden schwierigen Befindlichkeiten und Emotionen niederdrücken, oder widme ich mich jetzt dem, was ich kann, habe und mir gut tut – ohne Schönfärberei, ohne Ausblenden der ebenso vorhandenen Herausforderungen bis Schwierigkeiten. Es geht um das gefühlte innere Gleichgewicht von Plus und Minus sowie um das damit einhergehende Gefühl von In-meiner-Kraft-Sein, wenn ich fühle, dass mein Plus so gross ist, dass es mein Minus auffangen und halten kann. Diese Entscheidung muss, über längere Zeit, immer wieder gefällt werden, bis sich die Gewohnheit ändert. Neurologisch gesehen: bis sich die neuen Verbindungen der Hirnzellen etablieren und aus Trampelpfaden Autobahnen werden. Und es braucht Achtsamkeit, um rechtzeitig zu bemerken, wann genau ich mich an der Kreuzung befinde wo ich entscheiden muss, ob ich die halbvolle oder die halbleere Hälfte des Glases anschaue.
Ressourcen – Übungen
Ressourcen-ABC
Auf einem leeren Blatt schreibe ich den Titel «Ressourcen» (wahlweise auch: Stärken). Darunter schreibe ich alle Buchstaben des Alphabetes untereinander: A, B, C etc. ⇒ genügend Platz lassen zwischen den Buchstaben!
Dann gebe ich mir pro Buchstaben eine Minute Zeit (Timer stellen), um ALLE MÖGLICHEN Ressourcen aufzuschreiben, die mit diesem Buchstaben beginnen. Auch Dinge, die normal und selbstverständlich scheinen, z.B. lesen, zuhören, kopfrechnen, singen… Und nicht bewerten: was hab ich, was nicht; sondern ganz offen, im Sinne eines Brainstorming. Danach geh ich den (hoffentlich) vollen Zettel durch mit folgenden Fragen, pro Runde eine Frage:
- Was davon kenne, kann, habe, bin ich?
- Was davon kannte, hatte, war ich schon einmal?
- Was spricht mich an, würde ich gerne kennenlernen, können…?
Variante: das Ressourcen-ABC nicht direkt mit ALLEN MÖGLICHEN Ressourcen machen, sondern wahlweise mit denen des Seins, So-Seins, Habens oder Tuns.
Freude-Tagebuch
Ich kaufe mir ein schönes Büchlein und lege es neben mein Bett. Jeden Abend vor dem schlafen schreibe ich meine Freuden des Tages hinein. Ich gehe den Tag innerlich durch und nehme alles, was mir entgegenkommt an Freudigem. Ich öffne mich für die kleinen und die kleinsten Freuden, auch für die nicht so offensichtlichen. Es muss jeden Tag mindestens etwas, viel besser viel mehr stehen. Es macht nichts, wenn eine bestimmte Freude jeden Tag wieder vorkommt.
Die Frage ist: was hat heute mein Herz erfreut?
Varianten:
Fähigkeiten-Tagebuch
Hier ist die Frage: welche Fähigkeiten / Eigenschaften habe ich heute an mir entdeckt, wahrgenommen, erlebt? Was ist mir heute gelungen?
Wertschätzung-Tagebuch
Die Frage: was von dem, wie ich mich heute erlebt habe, was ich getan, gedacht, gefühlt etc. habe, möchte ich ausdrücklich wertschätzen? Für was am heutigen Tag gebe ich mir Wertschätzung?
Liebes-und Mitgefühl -Tagebuch
Die Frage: für was am heutigen Tag liebe ich mich? Und für was auch noch? Für was umarme ich mich in tiefstem Mitgefühl?
Dankbarkeits- Tagebuch
Die Frage hier: für was vom heutigen Tag bin ich dankbar? Hier muss es nicht zwingend mit mir zu tun haben. zB «die Sonne schien», «die Vögel haben so schön gesungen», «dankbar für meine Katzen» etc.
⇒ für alle Varianten gilt: Die so gesammelten Freuden, Fähigkeiten, positiven Eigenschaften und Erfahrungen unbedingt immer wieder lesen = verinnerlichen und sich in der Erinnerung daran gleich wieder freuen
Achtsamkeitsübungen
Hier geht es darum, dass ich mit gesammelter Präsenz genau das tue, was ich gerade tue. Und dabei alle Gedanken, die auftauchen und das Vorher und Nachher betreffen immer wieder ziehen lasse und meine Aufmerksamkeit so vollständig wie möglich in genau das Erleben von dem Tun bringe, mit dem ich gerade jetzt und hier beschäftigt bin. Dem Inhalt dieser Übung sind keine Grenzen gesetzt, ich kann sie mit allem machen. Im Gegenteil, je mehr, öfter und vollständiger es mir gelingt genau hier und jetzt zu sein, desto stiller, leerer und gleichzeitig erfüllter werde ich. Und desto glücklicher werde ich. Bekannte Beispiele: achtsames gehen, duschen, bügeln, essen.
Körperübungen
Das ist eine weit verbreitete und schon sehr lange praktizierte Variante, sich in Achtsamkeit zu üben; Meditation in Bewegung. Ob die Methode nun Yoga, Qigong, Tai Chi, Pilates oder anders heisst: Nebst den vielfältigen positiven Effekten auf körperlicher und energetischer Ebene ist es genau das, worum es in diesen Disziplinen geht: mit Hilfe der Konzentration in den Körper ganz in der Erfahrung des Hier und Jetzt zu sein und dabei aus dem Kopf (denken) in den Körper (verkörpertes Fühlen) zu kommen.
Durch regelmässiges Training wird mit dem Üben unter anderem erreicht, dass sich der Kopf leert, die Übende sich zentriert, gekräftigt, ruhig und gleichzeitig lebendig fühlt. Und sich eine Ruhe, ein Frieden, eine gefühlte Distanz zu den Sorgen und Herausforderungen des Lebensalltags einstellt.
Übungsbeispiel aus dem Qigong: Stehen wie ein Baum
Schulterbreit stehen, Knie leicht beugen = tief stehen = stehendes Sitzen. Füsse und Fusssohlen gut wahrnehmen, Becken leicht nach unten-vorne kippen, Arme hängen locker seitlich, Brustraum geöffnet, Wirbelsäule aufgerichtet, unterstützt durch den Himmelsfaden, der mich vom Scheitel sanft nach oben verbindet und aufrichtet. Augen geschlossen, Atem entspannt. In meiner Vorstellung sehe ich einen wunderbar gesunden, kraftvollen, majestätischen Baum. Er ist tief verwurzelt, hat einen dicken, kräftigen Stamm und weit ausladende Äste. Seine Krone öffnet sich zum Licht, zum Himmel hin. Ich lasse dieses Bild auf mich wirken. Dann fühle ich körperlich, wie ich selber zum Baum werde. Ich beginne bei den Wurzeln, die aus meinen Fusssohlen hinunter wachsen, sich tief und breit ins Erdreich verweben. Dafür lasse ich mir Zeit. Dann spüre ich meine Beine, wie ein kraftvoll-flexibler Baumstamm. Und ich nehme meinen aufgerichteten Oberkörper wahr, der sich wie die grossen Äste nach allen Seiten hin weitet und wie sich mein Scheitel einer Baumkrone gleich nach oben, zum Licht hin öffnet. So stehe ich – als Baum oder im Baum – entspannt da. Falls es für meine Beine zu anstrengend wird, kann ich sie fein und leicht schwingend (wie ein Baum im Wind) etwas bewegen.
Dann beginne ich mit sanften, langsamen Bewegungen meine Arme mit dem Einatmen leicht zur Seite hin zu öffnen, vielleicht 20-30 cm. Mit dem Ausatmen lasse ich sie langsam wieder sinken. Dies wiederhole ich einige Male und bleibe dabei in meinem zentrierten und doch weiten Baum-Bild-Gefühl. Zum Abschluss lege ich beide Hände übereinander auf das untere Dantien = drei Finger breit unter den Bauchnabel. Nachklingen lassen und dann langsam lösen.
Waldbaden
«Shinrin Yoku» ist japanisch und steht für Waldbaden. Diese Tradition wird in Japan und Südkorea seit Langem gepflegt und die Wirkung seit 2004 wissenschaftlich erforscht. Mittlerweile kann nachgewiesen werden, dass es gesundheitsfördernd ist, sowohl als Prävention wie auch als Therapie.
Und es ist so wunderbar einfach und schön: ein Waldspaziergang mit allen Sinnen. Während ich im Wald spaziere, nehme ich dieses ganz besondere Universum mit allen Sinnen wahr: ich öffne mich bewusst dem entspannten Schauen der Formen, Farben und Schattierungen, des Weges, der Bäume, Büsche, Pflanzen und Tiere. Auch öffne ich mich dem Lauschen der Geräusche des Waldes und seiner Bewohner wie Wind in den Bäumen, Vogelstimmen, meine Schritte auf dem Waldboden, ein Rascheln, ein Bächleich. Und ich rieche den Wald: das Erdige, Feuchte, Grüne, Pilzige, Moosige etc. Auch über den Tastsinn kann ich die Wald-Atmosphäre in mich aufnehmen: die Weichheit der moosigen Erde oder die Unebenheit des Kiesweges, die raue Borke von alten Eichen oder die glatte Haut der Buche, das feuchte Holz der Ruhebank, die weiche, kühle Beschaffenheit von grünen Blättern… Ich nehme den «Atem des Waldes» in mich auf, seine gesamte Stimmung, bade darin und lasse mich davon erfüllen.
Körperressource des Tages als einfache kleine Morgenübung:
Meine Aufmerksamkeit in meinen Körper bringen und meine ganze Form ausfüllen. Mich fragen: wo fühlt es sich heute in meinem Körper wohl an? Wo spüre ich eine positive Empfindung im Körper? Und wie ist diese? Mich bewusst mit diesem angenehmen Körpergefühl verbinden. Das ist meine positive Körperressource für diesen Tag. Ich nutze und verstärke sie gleichzeitig, indem ich mich mehrmals täglich da hin konzentriere und fühle.